Zwischen 0 und 1 25.04.2024, 10:00 Uhr

Zukunftsorientierung – wo bist du?

Ohne Auslegeordnung –  ohne «mental model» – für die digitale Transformation droht uns ökonomisch und politisch der langsame Niedergang.
Reinhard Riedl
(Quelle: Fachhochschule Bern/Reinhard Riedl)
Was sagen Ökonomie, Politik und Führungskräfte zur Zukunft der Digitalisierung? Gibt es Denkmodelle, an denen sie sich orientieren? Oder ist da ein grosses Nichts?
In der Theorie herrscht lautes Schweigen. Nach Keynesianismus und Neoliberalismus ist konzeptfreie Data Science angesagt. In der Praxis ist bei der Digitalisierung eine Mischung aus Mühsal und Geräteorientierung zu beobachten. Einerseits gibt es viele Projekte, welche endlich nachholen, was schon längst gemacht hätte werden sollen. Diese vorgestrigen Projekte erweisen sich oft als mühselig und langwierig – Beispiel: Stammdatenbereinigung. Anderseits werden mit digitaler Zukunft Apps, Drohnen und Roboter assoziiert. «Neue Geschäftsmodelle? Nicht bei uns!»
Dafür gibt es Gründe. Tagtäglich ist zu beobachten, dass erstens die Herausforderungen der Basisdigitalisierung unterschätzt werden. Zweitens sind zukunftsweisende digitale Geschäftsmodelle vielen Führungskräften unbekannt. Drittens zeigt sich, dass diese Geschäftsmodelle einen Kulturwandel notwendig machen würden. Viertens kommen die wenigen Unternehmen, die zu diesem Kulturwandel bereit sind, nur sehr langsam vorwärts. Und fünftens fehlt es an guten Antworten auf die Frage, was digitale Transformation für die Mitarbeitenden langfristig bedeutet.
Doch auch in einer digitalen Welt gilt: Erfolgreiche Führung muss den Mitarbeitenden die Zukunftsunsicherheit nehmen. Macht profitiert von Unsicherheit, aber für wirtschaftliches Wachstum ist sie Gift. Wir brauchen klare Zukunftsperspektiven, wenn wir mit Asien und den USA wirtschaftlich mithalten wollen.
“Erfolgreiche Führung muss den Mitarbeitenden die Zukunftsunsicherheit nehmen„
Reinhard Riedl
Das geringe Wirtschaftswachstum wie auch die Erosion der Demokratie – in der Schweiz scheint zumindest Letzteres zum Glück noch fern – sind die Folge unserer Perspektivenlosigkeit. Es ist nicht so, dass IT die Produktivität nicht steigert, wie es die ökonomische Forschung behauptet. Vielmehr ist es die Art und Weise, wie wir die IT nutzen, welche kein Produktivitätswachstum schafft. Es stimmt auch nicht, dass Menschen durch Wünsche und nicht durch Interessen geleitet werden, wie häufig die Popularität der antidemokratischen Parteien begründet wird. Vielmehr ist es die Wahrnehmung der Umstände, die darüber entscheidet, welche der in uns angelegte Verhaltensweisen wir praktizieren.
Ob wir Mitarbeitende durch digitale Maschinen ersetzen oder umgekehrt den Wert dieser Mitarbeitenden durch digitale Maschinen wesentlich erhöhen, hängt nicht von Kosten-Nutzen-Rechnungen ab, sondern von unserer unternehmerischen Vorstellungskraft. Und diese wird durch die gängigen Denkmodelle geprägt.
Wer nicht mit dem wirtschaftlichen Untergang des Westens ein gutes Geschäft machen will – wofür es aktuell viele Möglichkeiten gibt – sollte deshalb nach Wegen suchen, IT als Digital Enabler zu nutzen, welcher die Produktivität der Fachkräfte erhöht. Sofern das genügend viele tun, schafft das nachhaltiges Wachstum, ohne unsere Freiheit einzuschränken. Und die Chancen sind gut, dass es den antidemokratischen Parteien den Wind aus den Segeln nimmt.



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